«Der ganze Luft­raum ist heute voll mit billiger Wegwerf­mode aus China»

«Der ganze Luft­raum ist heute voll mit billiger Wegwerf­mode aus China»

Geposted von Switcher Respect am

Interview von unserem CEO Marc Joss im Tages Anzeiger vom 14.09.2024 - Christopher Gilb - Rahel Zuber (Fotos)

Marc Joss hat die Traditions­marke Switcher aus der Versenkung geholt. Er lässt gern in Indien produzieren, kritisiert aber Kleider aus China – und hält «Made in EU» bei Textilien für einen Marketingtrick.

Die Firma mit dem gelben Wal als Logo ist zwischen einem Ergotherapie­zentrum und Petras Bioladen in der Aargauer Gemeinde Frick daheim. Die frühere Garage wurde zu einem Lager umgebaut. «Nicht zu viele Stellen und nicht zu viel Luxus» heisst die Devise von CEO Marc Joss, hier am neuen Hauptsitz des einstigen Schweizer Textilpioniers Switcher.

Eigentlich war das für seinen sozialen und ökologischen Fokus bekannte Unternehmen 2016 in Konkurs gegangen. Mit Unterstützung eines indischen Produzenten aber holte der ehemalige Marketingleiter Joss die Marke Ende 2019 zurück. Seitdem arbeitet er am grossen Comeback.

Herr Joss, in meinem Umfeld wussten viele gar nicht, dass es Switcher überhaupt noch gibt. Wieso ist das so?

Das stimmt, wir müssen bekannter werden. Switcher kannte früher jeder, aber jetzt gibt es eine ganze Generation von jungen Leuten, denen Switcher nichts mehr sagt.

Wie läuft es denn?

Gut, wir machen inzwischen einen Umsatz von 2,5 bis 3 Millionen und haben zehn Angestellte. Grundsätzlich sehe ich für uns ein Umsatzpotenzial von 5 bis 10 Millionen. Auch wenn dieses Jahr unser Umsatz stagniert; wenigstens schrumpft er nicht wie bei vielen Händlern, dort hängen die Kleider derzeit wie Blei in den Läden. Der Sommer kam zu spät, dann kam er, es war aber plötzlich viel zu heiss, und dazu kommt noch die Inflation. Aber klar, wir wären lieber auch dieses Jahr gewachsen.

Und was machte Switcher früher für einen Umsatz?

Als Switcher in Konkurs ging, lag dieser noch bei etwa 15 bis 20 Millionen Franken. Als wir zurückkamen, trauten uns viele Leute nicht einmal einen Umsatz von einer Million zu.

Anders gefragt: Heute sind doch alle Modelabel nachhaltig, braucht es da Switcher überhaupt noch?

Nein, uns braucht niemand.

Wieso machen Sie es dann?

Das könnte ich Sie auch fragen. Wieso sind Sie Journalist?

Vermutlich, weil ich das ganz gut kann.

Das geht mir mit der Textilbranche auch so. Als der Konkurs von Switcher kam, war ich schon lange dabei. Ich habe alles versucht, um das Unternehmen zu retten, und wollte eine Auffanggesellschaft gründen. Denn bei einem Konkurs verlieren alle Seiten eigentlich fast alles. Als sich dann die Möglichkeit ergab, die Marke wiederaufzubauen, übernahm ich das gern.



Würden Sie das heute wieder machen?

Nein, vermutlich nicht, es war eine verdammt anstrengende Zeit, denn uns schlug wenig Sympathie entgegen. Einige waren wütend wegen des Konkurses, andere waren neidisch. Weil Sie fragen, ob es uns braucht: Die wenigsten Mode-Start-ups braucht es, aber es braucht generell etwas wie uns, einen Anbieter von solider Basisbekleidung ohne Tannenbaum.

Sie spielen auf das Aargauer Modelabel Nikin an, das als Logo einen Baum hat und damit wirbt, für jedes Produkt einen Baum zu pflanzen.

Ja, wir und Nikin kommen auch gut miteinander klar. Ich will damit nur sagen, unsere Kleider kauft niemand, weil sie nachhaltig sind. Und auch bei Nikin haben sie erst einmal die Story mit dem Baum gehabt und sich dann gefragt, wie ihre Kleider überhaupt produziert werden. Bei uns wird eingekauft, weil wir für gute Qualität bei Standard-Kleidungsstücken stehen. Bei Switcher kann ich drei Poloshirts einkaufen und alle sind gut. Ich glaube, das ist ein Markt, der in den nächsten Jahren wieder stärker wird.

Wieso?

Schauen Sie, die Wahrheit ist: Um Kundinnen und Kunden anzulocken, braucht man zwar Kleidungsstücke in allen Farben, also dieses grosse Angebot, das heute überall besteht, am Schluss kaufen aber die meisten trotzdem nur Kleidungsstücke in Schwarz, Grau oder Weiss. Und nachhaltig ist, wenn dein Sweatshirt in Schwarz nicht alle sechs Monate neu erfunden werden muss und den Konsumentinnen und Konsumenten suggeriert wird, sie müssten jetzt ein neues kaufen.

Spielen Sie damit auf die Fast Fashion aus China an, beispielsweise von Shein? Die auch in der Schweiz ein rasantes Absatzwachstum hat.

Ich sage nicht, die haben nichts Langlebiges. Doch wird der Stoff eben erst durch Vorwaschen eingeschrumpft und dann zugeschnitten, geht er beim ersten Waschen nicht um 10 Prozent ein. Passiert das aber und hat das T-Shirt dann nur 1.50 Franken gekostet, werfe ich es halt weg. Das gleiche Problem hat man bei den schlecht eingefärbten T-Shirts, die nach mehrfachem Tragen in der Badi einen weissen Rand bekommen, oder den Shirts mit der Ausschussbaumwolle, nach zehn Waschgängen ist das ganze Shirt voller Kügeli.

Was ist bei Ihren Produkten anders?

Unsere Shirts lassen sich problemlos 150-mal waschen und bestehen meist aus regenerativer Biobaumwolle. Das Problem mit der Mode aus China ist, sie ist oftmals nichts wert, weil nichts dafür bezahlt wurde, und entsprechend wirft man sie schnell weg. Dies ist bezüglich CO₂-Ausstoss ein totaler Unsinn.

Ihre Kleider sind aber teurer.

Ja, 19 Franken kostet das Basic-T-Shirt bei uns. Im H&M kostet ein solches nur 10 Franken, für viele ist unser Preis also zu teuer.

Aber auch Ihre Ware wird aus Asien importiert. Ist das nicht scheinheilig?

Wenn ein Elektronikhändler aus Europa 7000 Power-Banks mit dem Schiff aus Asien kommen lässt und dann hier verkauft, ist das nachhaltig. Wenn aber eine 15-Jährige bei Temu oder Shein etwas direkt bestellen kann und das dann wegen ihr durch die Luft geflogen wird, ist das nicht nachhaltig. Der ganze Luftraum ist heute voll mit billiger Wegwerfmode aus China. Und nicht nur die Frachtflüge, sondern längst auch die beschränkten Frachtplätze in den Passagierflugzeugen sind damit belegt. Wenn wir heute einmal eine Sonderbestellung einfliegen lassen müssen, kostet es uns pro T-Shirt inzwischen 3 Dollar statt 1 Dollar, weil alles ausgebucht ist.

Anderseits fehlt es doch sowieso überall an Arbeitskräften. Wenn es keinen Zwischenhändler mehr braucht, braucht es auch niemanden mehr, der bei Ihnen in Frick die Bestellungen sortiert.

In der Modebranche nicht, hier werden eher Leute in den nächsten Jahren ihren Job verlieren. Und klar, viele werden jetzt sagen, das ist eh ein Tieflohnsegment, diese Jobs interessieren sowieso niemanden mehr. Wir haben hier aber viele Mütter, die es schätzen, flexibel bei uns im Stundenlohn arbeiten zu können. Jobs, die einem so einen Zwischenverdienst bieten, gibt es nicht mehr viele.

Ihre Produktion findet in Indien statt, ist das besser als in China?

Das stimmt, Switcher arbeitet schon immer mit Produzenten in Südindien zusammen. Indien hat sich seither stark entwickelt, heute bezahle ich für ein T-Shirt, das mich früher dort 1 Franken gekostet hat, 2 Franken. Denn es ist alles stärker reguliert. Andere Modeunternehmen sind deshalb abgewandert, viele nach Dhaka in Bangladesh. Das finde ich lustig in der Modeindustrie, viele Firmen schmücken sich mit einem Label, das sich auf die Arbeitsbedingungen in ihren Nähereien bezieht. Es ist auch toll, dass sich diese gebessert haben. Doch niemand sieht die Färbereien in Dhaka, wo hinten der Farbstoff der ganzen Frühlingskollektion in den Fluss fliesst. So etwas gibt es in Indien nicht mehr.

Andere Label produzieren beispielsweise in Portugal. Das wäre doch auch eine Variante?

Kleiderfabrikation ist immer Tieflohnproduktion, egal wo. Dieser ganze Marketingtrick mit «Made in EU» nervt mich. Auch wenn etwas in Portugal oder Rumänien hergestellt wird, stammt das Rohmaterial von ausserhalb. Die Baumwolle übrigens meist aus Indien. Es wird also auch vieles für die Produktion in der EU erst herumgeschickt. Die 500 Euro, die man in der Nähe von Lissabon und die 250 Euro, die man in Rumänien für die Kleiderproduktion verdient, sind übrigens auch nicht wirklich existenzsichernd. Und auch hier wird argumentiert, das sei nicht so wichtig, wichtig sei einfach, dass es Jobs in der EU seien. Sorry, aber das ist die gleiche Argumentation, mit der die Textilindustrie die 100 Dollar für eine Fabrikarbeiterin in Kambodscha legitimiert.

Zurück zu Shein und Temu: Wie gross ist denn die Konkurrenz durch die chinesischen Billiganbieter für Sie?

Ich finde, der Konkurrenz müssen wir uns stellen, aber ich bin für gleich lange Spiesse. Ich finde deshalb den Vorschlag des Finanzministers des deutschen Bundeslands Nordrhein-Westfalen, Marcus Optendrenk, ganz gut, der forderte, der Zoll solle einfach mal über einen gewissen Zeitraum jedes Paket aus China öffnen, um zu schauen, ob der Inhalt nicht doch mehrwertsteuerpflichtig wäre. Das würden die chinesischen Anbieter, bei ihrer sowieso schon relativ langen Lieferfrist, nicht cool finden und schnell handeln. Wenn es bei mir eine Mehrwertsteuerkontrolle gibt, wird wegen 2 Franken nachgehakt. Bei den Paketen aus China aber entgehen dem Schweizer Staat Millionen.

Was würde diese Massnahme bringen?

Ich bin sicher, wenn die chinesischen Shops die gleiche Recyclinggebühr und die gleiche Mehrwertsteuer bezahlen und auch entsprechende Zertifizierungen aufweisen müssten, wäre ihr Geschäftsmodell gar nicht mehr so interessant. Dann kostet das Ladekabel fürs Smartphone nämlich statt 3 Franken plötzlich 7 Franken und damit nicht mehr viel weniger als beim Elektronikhändler in der Schweiz.

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Kommentare

  • Danke für den Artikel, er ist sehr interessant und lehrreich, was die heutige Modeindustrie betrifft. Als Kunden der ersten Stunde von Switcher freuen wir uns, dass die Firma wieder zurück ins Leben geholt wurde. Wir wünschen viel Erfolg bei der Weiterentwicklung von nachhaltiger, langlebiger und zeitloser Mode.

    J. E. am
  • Guten Abend Herr Joss,
    Ich habe den Artikel amūsant und richtig empfunden. Ich finde gut, dass Sie den Brand wieder ins Leben gerufen haben.
    Mit Hartnäckigkeit und dem Ziel im Kopf, werden Sie dieses erreichen.
    Sehr sympathisch.
    Ich werde noch diese Woche Switcher-Produkte kaufen!
    Beste Grüsse
    Didier Pilloud

    Didier Pilloud am

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